Gastroenterologie

Am Lindenhofspital werden einige eher kleinere Tumore im Verdauungstrakt mit einem neuartigen, in Japan entwickelten Verfahren entfernt: der endoskopischen Submukosadissektion (ESD).

Der Begriff «endoskopische Submukosadissektion» beschreibt eine medizinische Methode zur Entfernung von Tumoren. Sie wurde in Japan entwickelt und ist heute in asiatischen Ländern gängige Praxis. Die Methode macht in einigen Fällen einen chirurgischen Eingriff überflüssig und sichert den Patientinnen und Patienten mehr Lebensqualität.

Auch in den USA und in einigen Ländern Westeuropas hält das Verfahren Einzug. Die Schweiz gehört zu diesen Ländern – auch wenn es erst wenige Zentren gibt, welche über das nötige Know-how verfügen. Das Lindenhofspital ist eines davon und das einzige in Bern. 2006 hat der Privatdozent Dr. med. Peter Netzer erstmals eine endoskopische Submukosadissektion im gastroenterologischen Zentrum (GastroZentrum) des Lindenhofspitals vorgenommen. Seither werden immer mehr Patientinnen und Patienten erfolgreich mit dieser Methode behandelt.

Am Lindenhofspital werden primär Frühkarzinome (bösartige Tumore) und fortgeschrittene Adenome (gutartige Geschwülste) im Mastdarm sowie Karzinome und deren Vorstufen in der Speiseröhre und Magen endoskopisch entfernt, in selteneren Fällen auch Tumore im restlichen Dickdarm sowie im Duodenum (Zwölffingerdarm). Der Arzt stösst dabei mit einer Sonde bis zum Tumor vor und unterspritzt die geschädigte Stelle (Läsion). Dadurch hebt sie sich von den darunterliegenden Gewebeschichten ab, der erkrankte Bereich kann mit sehr feinen elektrischen Messern umschnitten und in einem Stück – zusammen mit der Schleimhaut (Mukosa) und der Unterschleimhaut (Submukosa) – herausgelöst werden. Nur die äusserste, darunterliegende Wandschicht (Muscularis propria) wird belassen. Der Eingriff muss millimetergenau ausgeführt werden. Eine «feine Klinge» ist also gefragt, denn die Muscularisschicht darf auf keinen Fall verletzt werden. Bezüglich Schwierigkeitsgrads entspricht der Eingriff einer anspruchsvollen chirurgischen Intervention.

Mehr Lebensqualität für Patientinnen und Patienten

Die neuartige Methode bringt gegenüber der weiter verbreiteten endoskopischen Mukosaresektion (EMR) Vorteile. Bei Letzterer wird die abzutragende Läsion zwar ebenfalls durch Unterspritzung angehoben; die Entfernung erfolgt jedoch mit einer Metallschlinge, die über das angehobene Areal gelegt und anschliessend zugezogen wird. Bei grösseren Tumoren kann dabei nicht immer die ganze Läsion in einem Stück entfernt werden. Verbleibende beschädigte Gewebeteile müssen abgeschabt werden. Anders bei der endoskopischen Submukosadissektion: Sie ermöglicht eine En-Bloc-Resektion, ganz gleich, wie gross die Läsion ist. Damit werden die Diagnostik verbessert und das Rückfallrisiko minimiert. Die Submukosadissektion ist allerdings anspruchsvoller als die Mukosaresektion. Welche Methode wann zum Einsatz kommt, hängt von den Fähigkeiten des Endoskopikers und den Eigenschaften des Tumors ab.

So oder so: Beide endoskopischen Methoden können einem aufwendigen chirurgischen Verfahren vorbeugen. Für die Patientinnen und Patienten bedeutet dies einen deutlichen Gewinn an Lebensqualität: Nach einem chirurgischen Eingriff im Mastdarm leiden beispielsweise einige Betroffene an Stuhlinkontinenz oder an vermehrtem Durchfall. Noch stärker wird die Lebensqualität eingeschränkt, wenn ein künstlicher Darmausgang oder gar eine Amputation notwendig wird, was aber zum Glück eher selten der Fall ist.

Leistungsanerkennung steht noch aus

Am Lindenhofspital wurde die endoskopische Submukosadissektion in den vergangenen vier Jahren vermehrt angewendet. Insgesamt wurden rund 270 Eingriffe vorgenommen. Davon kam die Methode im Bereich der Oesophaguscarcinome (Entfernung von Tumoren in der Speiseröhre) und deren Vorstufen rund 25 Mal zum Einsatz und noch öfter – nämlich rund 70 Mal – im Bereich des Rektums. Die beiden Raten dürften in naher Zukunft deutlich ansteigen, weil der Bekanntheitsgrad der Intervention zunimmt. Entsprechend steigt die Zahl der Zuweisungen. Die restliche Anzahl bezieht sich auf Eingriffe im Magen, Kolon, Duodenum u. a.

Leider werden endoskopische Verfahren in der Schweiz – anders als beispielsweise in Deutschland – noch nicht als Teil der Hochspezialisierten Medizin anerkannt. Zu Unrecht, findet die Lindenhofgruppe. Insbesondere die endoskopische Submukosadissektion kann punkto Aufwand, Ausbildung und Komplexität mit entsprechenden chirurgischen Eingriffen verglichen werden und sollte diesen deshalb bezüglich Anerkennung und Leistungszuteilung gleichgestellt werden. Mehr noch: Die endoskopischen Verfahren substituieren chirurgische Eingriffe – das zeigt auch die Erfahrung am Lindenhofspital, wo die Fallzahlen der operativen Ösophagus- und Rektumresektionen reduziert werden konnten.

Autor:
PD Dr. med. Netzer Peter, FMH Gastroenterologie und FMH Allgemeine Innere Medizin

Quelle:
HSM (Beitrag aus Geschäftsbericht 2017 Dr. Netzer)

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