Hyperthermie - mit Wärme gegen Krebs

Das Lindenhofspital geht mit altem Wissen und modernster Technologie gegen Krebs vor – mit Hyperthermie. Sprich: mit Wärme. Behandelt werden Tumore, die resistent auf Chemo- und Hormontherapien reagieren, zuvor erheblich bestrahlt wurden und nicht operabel sind. Das Lindenhofspital ist in dieser Disziplin zum schweizweiten Referenzzentrum geworden. Die Zukunft des neu gedachten Behandlungsansatzes hat gerade erst begonnen

Die Beherrschung des Feuers hat dem Menschen und seinem nächsten Verwandten weit mehr gebracht als warme Füsse und gekochtes Essen. Schon die Neandertaler – sie starben vor rund 30 000 Jahren aus – nutzten Wärme auch zu therapeutischen Zwecken. Gleiches taten die alten Ägypter: Auf Papyrusrollen (ca. 3000 Jahre v. Chr.) finden sich Ratschläge, Brustkrebs mit Überwärmung zu therapieren. Ebenso rieten die alten Griechen dazu, bei unheilbaren Leiden Wärme anzuwenden. So der Philosoph Parmenides oder der Arzt Hippokrates (ca. 400 Jahre v. Chr.).

Wissenschaftlich beschrieben wurde die Behandlung mit übermässiger Erwärmung – die sogenannte Hyperthermie – erstmals im 19. Jahrhundert. Beobachtungen zeigten, dass Fieberzustände zu Tumoremissionen führen können. So kam es zu ersten Versuchen, den Krebszellen mittels künstlich erzeugtem Fieber beizukommen. Trotz Erfolg versprechender Ansätze blieb die Hyperthermie aber bis in die Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts eine Randerscheinung. Seither erlebt sie eine Renaissance. Doch: Wie genau funktioniert Hyperthermie? Und: Wie wird sie am Lindenhofspital eingesetzt?

Oberflächenhyperthermie

Erfolgreiche Kombination von Wärme und Strahlung

In der Radio-Onkologie des Lindenhofspitals kommt die Oberflächen- und Tiefenhyperthermie zum Einsatz. Die Oberflächenhyperthermie zielt auf Tumore, welche bis in eine Tiefe von maximal drei Zentimetern reichen. Behandelt werden meistens Patientinnen mit erheblich vorbehandeltem Brustkrebs (Mammakarzinom), der resistent ist auf Chemo- und Hormontherapie, bereits einmal bestrahlt wurde und nicht mehr operiert werden kann. Die bösartigen Tumore werden auf 42 bis 43 Grad Celsius erwärmt und so für eine schwach dosierte Bestrahlung vorbereitet. Die sogenannte Kombinationstherapie – der simultane Einsatz von Hyperthermie und Bestrahlung – ist äusserst wirksam, weil sie eine Kaskade sich verstärkender Vorgänge auslöst.

So aktiviert die Temperaturerhöhung in den Tumorzellen Stoffwechselprozesse, welche die Wirkung der Bestrahlung verstärken. Die Produktion von Reparaturenzymen wird gehemmt, gleichzeitig werden immunologische Aktivitäten provoziert. Begünstigend wirkt weiter, dass grosse Wucherungen (Neoplasien) Wärme schlecht abtransportieren können, weil sie weniger durchblutet sind. Die Erwärmung führt dazu, dass der Gefässkreislauf des Tumors zusammenbricht. Die Vorteile der Kombinationstherapie sind mittlerweile gut belegt. Das Bundesamt für Gesundheit hat sie daher in den Katalog der kassenpflichtigen Leistungen aufgenommen.

Lindenhofspital an der Spitze der Entwicklung

Bösartige Tumore werden im Rahmen der Hyperthermie mit unterschiedlichen Techniken erwärmt. Jede hat Vor- und Nachteile. Als erste Klinik weltweit setzt die Radio-Onkologie des Lindenhofspitals die Thermographie kontrollierte, wassergefilterte Infrarot-A-Hyperthermie ein – eine Technologie, welche viele der bisherigen Problematiken eliminiert. Das neue Oberflächenhyperthermiegerät ermöglicht es, grossflächige Tumore kontrolliert und kontaktfrei zu erwärmen. Verbrennungen, Blasenbildungen sowie Nekrosen (das Absterben gesunder Zellen) gehören damit der Vergangenheit an. Einmal mehr zeigt sich die Radio-Onkologie des Lindenhofspitals als Pionierin technischer Entwicklungen.

Wichtig bei der Kombinationstherapie ist, dass der zeitliche Abstand zwischen Erwärmung und Bestrahlung der Tumore möglichst geringgehalten wird. Die Strahlendosis kann dadurch massiv reduziert werden. Im Lindenhofspital steht das Oberflächenhyperthermiegerät deshalb in unmittelbarer Nähe zum Strahlenbeschleuniger. Die Patientinnen werden während 45 bis 60 Minuten «erwärmt», der Transport zum Beschleuniger benötigt weniger als drei Minuten. Der Beschleuniger wird im Voraus mit den Parametern der Patientin programmiert, sodass die Bestrahlung sofort beginnen kann.

Modernstes Oberflächenhyperthermiegerät: wassergefiltertes Infrarot-A (wIRA) erwärmt die gesamte Oberfläche auf mx. 43°C, anschliessend nach 45–60 min wird die Patientin am Linearbeschleuniger bestrahlt. Die beiden wIRA-Strahler werden Thermographie-kontrolliert unabhängig voneinander angesteuert
Modernstes Oberflächenhyperthermiegerät: wassergefiltertes Infrarot-A (wIRA) erwärmt die gesamte Oberfläche auf mx. 43°C, anschliessend nach 45–60 min wird die Patientin am Linearbeschleuniger bestrahlt. Die beiden wIRA-Strahler werden Thermographie-kontrolliert unabhängig voneinander angesteuert
Thermographiekontrollierte Temperaturmessung: 2 unabhängige Thermographiekameras zeichnen die Temperaturen auf, steuern entsprechend die Wärmestrahler an, auf dem Monitor können ebenfalls Temperaturkurven (max., min und durchschnittliche Temperaturwerte) dargestellt werden
Thermographiekontrollierte Temperaturmessung: 2 unabhängige Thermographiekameras zeichnen die Temperaturen auf, steuern entsprechend die Wärmestrahler an, auf dem Monitor können ebenfalls Temperaturkurven (max., min und durchschnittliche Temperaturwerte) dargestellt werden

Potenzial noch nicht ausgeschöpft

Potenzial noch nicht ausgeschöpft 2016 publizierte die Klinik die Resultate der ersten 76 Patientinnen, welche von der beschriebenen Methode profitiert hatten. Das Echo war gross: Obwohl die Gruppe mit der niedrigsten, je publizierten Bestrahlungsdosis behandelt worden war, erreichte sie die vergleichsweise hohe Rückbildungsrate von 59% – und dies bei praktisch fehlender Toxizität. Gegenwärtig werden im schweizerischen Hyperthermietumorboard alle potenziellen Patientinnen esprochen. Jene mit ausgedehnten Brustwandrezidiven werden fast ausschliesslich ans Lindenhofspital überwiesen. Das unterstreicht die führende Rolle der Lindenhofgruppe in diesem Bereich.

Das Beispiel Hyperthermie zeigt: In der Medizin erlangen vergessene Therapieansätze nicht selten neue Bedeutung. Dies gilt insbesondere dann, wenn es gelingt, (ur)altes Wissen mit moderner Technologie zu kombinieren. Die Entwicklungsmöglichkeiten der Hyperthermie scheinen noch lange nicht abgeschlossen zu sein. Verbesserte Heilungschancen werden mit der präoperativen Kombination mit Radio- oder Radio-Chemotherapie erwartet. Die Interaktion mit Immunmodulatoren der neuesten Generation ist vielversprechend. Die Lindenhofgruppe wird alles unternehmen, um weiterhin an der Spitze dieser Entwicklung zu bleiben. Altes Wissen neu zu denken ist ein wichtiger Teil dieser Bemühungen.

Tiefenhyperthermie

Bei der regionalen Tiefenhyperthermie wird die gezielte Überwärmung von Tumoren auf etwa 40-44°C mittels eingestrahlter elektromagnetischer Radiowellen erreicht. Diese Therapiemethode wird neu am Lindenhofspital Bern seit April 2022 in Kombination mit Strahlentherapie und/oder Chemotherapie eingesetzt.

Tiefenhyperthermiegerät in der Radio-Onkologie
Tiefenhyperthermiegerät in der Radio-Onkologie
Abb. 1a und b: Tiefenhyperthermiegerät in der Radio-Onkologie Lindenhofspital Bern. Zu erkennen sind der Wassertank und die darüber angebrachte Liege, in die der Patient wie in einer Hängematte gelagert wird. Der Ringapplikator wird über den Patienten positioniert und zentriert. Anschliessend wird das innenliegende Wasserkissen (= Bolus) aufgefüllt. Das Hyperthermiegerät ist in einem Schutzraum installiert, um Radiowellen nicht unkontrolliert nach aussen dringen zu lassen. Im anschliessenden Kontrollbereich erfolgt die Steuerung und Überwachung der Therapie.

Die regionale Tiefenhyperthermie verwenden wir bei tief im Körper liegenden Tumoren im Bauch-, Becken- und Extremitätenbereich. Dabei liegen die Patienten in einem so genannten Ringapplikator, in dem mehrere Antennen integriert sind, die hochfrequente, elektromagnetische Wellen abstrahlen. Die ringförmig angeordneten Antennen können mit einer speziellen Software über ein Mehrkanalverstärkersystem separat angesteuert werden. Dadurch werden die Wellen direkt auf das zu erwärmende Tumorgebiet fokussiert und führen dort zu der gewünschten Überwärmung.

Schematische Darstellung eines Ringapplikators
Schematische Darstellung eines Ringapplikators
Abb. 2 a: Schematische Darstellung eines Ringapplikators: die einstrahlenden Radiowellen bauen sich durch Interferenzen im Zentrum auf und führen zu einer gezielten Temperaturerhöhung im Tumors. Abb. 2.b: um den in der Mitte gelagerten Patienten wird ein zusätzliches auffüllbares Wasserkissen (blau, = Bolus) gelegt, was eine verlustfreie Energieübertragung ermöglicht.

Während der Therapie wird die Temperatur im Körper gemessen und in enger Rücksprache mit der Patientin oder dem Patienten angepasst. Der therapeutische Temperaturbereich wird, je nach Verträglichkeit, über ca. 60 Minuten beibehalten. Unmittelbar anschliessend werden die Patienten der Radio- und oder Chemotherapie zugeführt. Wichtig dabei ist die Zeit zwischen Hyperthermie und anschliessender Therapie möglichst kurz zu halten. Am Lindenhofspital stellen wir dies innert weniger Minuten (< 30 Minuten) sicher.

Wichtige internationale und nationale Studien mit Vergleichsgruppen haben die Wirksamkeit der Hyperthermie in Kombination mit Strahlen- und/oder Chemotherapie bei einigen Erkrankungen eindrucksvoll bewiesen. Bei bestimmten Tumorerkrankungen gingen Krebsherde zum Teil vollständig zurück. Bei anderen wurde es durch ihren Einsatz möglich, die Lebenszeit und die Lebensqualität der Patienten zu verlängern, insbesondere bei Patienten, die schon vorherige Strahlen- und/oder Chemotherapie hatten und einen erneuten Rückfall erleiden.

Trotz der bislang vielversprechenden experimentellen und klinischen Erfahrungen sind weitere Forschungen in der Hyperthermie erforderlich, an denen wir uns auch beteiligen.

Indikationen

Kassenpflichtig Mit beantragter Kostengutsprache
Gebärmutterhalskrebs (Cervixkarzinom), bei Kontraindikation für Chemotherapie oder wenn lokal vorbestrahlt Harnblasen-Krebs: zum Funktionserhalt, bei Kontraindikation für Chemotherapie oder wenn lokal vorbestrahlt
Weichteilsarkom: zum Funktionserhalt, bei Kontraindikation für Chemotherapie Enddarmkrebs (Rektum-Karzinom): zum Funktionserhalt, bei Kontraindikation für Chemotherapie oder Lokalrezidiv in vorbestrahltem Areal
Schmerzhafte Knochenmetastasen der Wirbelsäule und des Beckens Bauchspeicheldrüsenkrebs (Pankreas-Karzinom): lokal fortgeschrittener, primär inoperabler Tumor
Tumor-Lokalrezidive mit Kompressionssymptomatik in palliativer Situation.

Biologische Wirkung

Ab einer Temperatur von etwa 43°C kann Wärme auch direkt zellabtötend wirken. Aufgrund physiologischer und anatomischer Gegebenheiten kann diese hohe Temperatur nicht immer in allen Tumorregionen erreicht werden. Jedoch setzt ab Temperaturen von etwa 40°C ein strahlen- und Chemo-sensibilisierender Effekt ein, der in der Kombination von Hyperthermie und Radiotherapie und oder Chemotherapie genutzt wird. Dabei können sich Tumorzellen bei höherer Temperatur schlechter von den Zellschäden erholen, die durch Strahlen- oder Chemotherapie verursacht wurden.

Krebszellen sind hitzeempfindlicher als gesunde Zellen, so dass allein durch eine gezielte Erwärmung viele Krebszellen absterben. Gleichzeitig entstehen im Tumorgewebe sogenannte Hitzeschockproteine. Diese Eiweißstoffe führen zu einer gegen die Krebszellen gerichteten Aktivierung des Immunsystems mit Bildung von Killerzellen, die den Tumor angreifen und zerstören können. Ausgedehnte Tumoren sind häufig im Zentrum schlecht durchblutet, so dass durch Sauerstoffmangel und fehlende Nährstoffversorgung einzelne Tumoranteile absterben können. In diesen Arealen sind die Tumorzellen durch den vorhandenen Mangel an Sauerstoff für die Strahlen- und Chemotherapie deutlich resistenter (bis zu einem Faktor von 2,8).
Die Hyperthermie erwärmt selektiv die schlecht durchbluteten zentralen Tumoranteile und kann hier sogar bei Temperaturen von über 43°C direkt zellenabtötend wirken, da eine Abkühlung des Tumorzentrums durch fehlenden Wärmeabtransport durch z. B. eine intakte Durchblutung fehlt. In den gut durchbluteten peripheren Tumorbereichen hingegen können, durch Gegenregulation der Blutgefäße und über den vermehrten Blutstrom (Konvektion) keine zellabtötenden Temperaturen von > 43°C erzielt werden, immerhin eine Überwärmung bis ca. 40°C, sodass die gute Sauerstoff- und Nährstoffversorgung hier die Tumorzellen durch die Strahlen- und/oder Chemotherapie vernichtet werden können. Somit entwickeln Hyperthermie, Strahlen- und Chemotherapie eine selektive Wirkung am Tumor und ergänzen sich hoch effektiv.
Deshalb wird die Hyperthermie primär nicht als alleinige Therapiemodalität, sondern immer in Kombination mit einer Chemo- oder Strahlentherapie oder mit beiden Methoden eingesetzt.

Begleitreaktionen und Nebenwirkungen

Wir führen eine gezielte Erwärmung einer Körperregion und keine Ganzkörperhyperthermie durch. Daher ist ein erhöhtes Wärmegefühl in der behandelten Region ganz normal. In den meisten Fällen ist dies ohne wesentliche Nebenwirkungen. Durch die direkte Temperaturmessung und unsere kompetente Betreuung während der Therapie können wir auf die Symptome, die dabei auftreten können unmittelbar reagieren. Sehr selten können durch Überhitzung Schäden im Fettgewebe entstehen, die meistens ohne Folgen für den Patienten abheilen.

Als Begleitreaktion kann es zu starkem Schwitzen, Blutdruckanstieg oder Blutdruckabfall und beschleunigter Herzschlag sowie zu Ödemen und Irritationen an der Haut und im überwärmten Gebiet kommen, die aber nach der Therapie unmittelbar abklingen.

Qualität der Therapie

Die Therapie erfolgt nach den Qualitätsanforderungen und Richtlinien der European Society for Hyperthermic Oncology (ESHO) und der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Hyperthermie (IAH) der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG). Unser Hyperthermie-Expertenteam besteht aus RadioonkologInnen, PhysikerInnen, Pflegefachleute und medizinisch-technischen Assistenten. In der Radio-Onkologie des Lindenhofspitals haben wir uns verpflichtet, die hohen Qualitätsanforderungen, welche zur sicheren und methodisch korrekten Anwendung der Hyperthermieverfahren notwendig ist, umfassend zu erfüllen. So erfolgt beispielsweise eine computergesteuerte Dokumentation aller relevanter Behandlungsparameter sowie eine regelmässige Kontrolle der Genauigkeit der Temperaturmessanzeige. Darüber hinaus nehmen wir an klinischen Studien mit hohem Qualitätsanspruch teil.

Die Temperaturmessung ist zwingend notwendig, um eine Behandlung kontrolliert durchzuführen. Optimal sind Temperaturen von 42°C bis 43°C. Um das umgebende gesunde Gewebe nicht zu belasten, sollte diese Grenze nicht überschritten werden. Wir verwenden hierbei eine genaue Temperaturmessung mit hochohmigen Temperatursensoren im Tumor- und im umliegenden Normalgewebe.

Insbesondere bei lokal fortgeschrittenen ausgedehnten Tumoren verspricht man sich von der zusätzlichen Hyperthermie im Rahmen einer multimodalen Krebstherapie einen Vorteil.