«Jeder Schritt, der zur Routine werden kann, ist wertvoll.»

Bewegung kann das Risiko einer Krebserkrankung um 20 bis 30 Prozent senken. Und mehr als das. Sie steigert das gesamte Wohlbefinden. Ein Gespräch mit M. Bühler, dipl. Physiotherapeutin Engeriedspital und dipl. Yoga-Lehrerin YCH.

Welche Rolle spielt Bewegung in der Krebsprävention?
M. Bühler: Dazu gibt es viele Studien. Diese Studien sagen aus, dass Bewegung das Krebsrisiko um 20 bis 30 Prozent verringern kann.

Ist Bewegung in diesen Studien genauer definiert?
M. Bühler: Die klare Empfehlung der Weltgesundheitsorganisation WHO lautet: pro Woche mindestens 150 Minuten im mittleren Ausdauerbereich oder mindestens 75 Minuten im intensiven Bereich. Idealerweise kommen dann noch zwei Einheiten Krafttraining hinzu. Das tönt im ersten Moment nach sehr viel. Aber zu der Bewegung im mittleren Bereich zählen auch Tätigkeiten wie zum Beispiel Gartenarbeit, Spazierengehen oder Treppensteigen. Der intensive Bereich umfasst sportliche Aktivitäten wie Joggen, Schwimmen oder etwa sportliches Velofahren. Die Angaben der WHO sind nicht als absolutes Muss zu verstehen. Denn daraus entsteht schnell unnötiger Leistungsdruck oder ein schlechtes Gewissen. Grundsätzlich sage ich meinen Patientinnen und Patienten im Alltag: Jeder Schritt, der zur Routine werden kann, ist wichtig und wertvoll.

Haben Sie ein paar Tipps, wie man Bewegung in seinen Alltag bringt?
M. Bühler: Treppen steigen statt den Lift nehmen. Während des Telefonierens ein wenig umherlaufen. Eine Station früher aus dem Bus aussteigen und zu Fuss gehen. Oder gleich das Velo nehmen. Das Ziel ist, kleine Einheiten in den Tagesablauf einzubauen, bis sie zur Gewohnheit werden. Man sollte sich realistische Ziele setzen und klein anfangen. Damit man sich den Spass an der Bewegung erhält.

Wie bekommt man dabei seine eigene Trägheit in den Griff?
M. Bühler: Man kann sich daheim zum Beispiel mit Erinnerungen helfen – entweder per Zettel oder per Handy. Man kann sich seine Laufschuhe und seine Kleidung schon am Tag zuvor bereitlegen oder ganz bewusst Trainingseinheiten in seinen Tagesablauf einplanen. Man kann sich mit Freundinnen und Freunden zum Training verabreden oder sich in einem Sportverein anmelden. All das hilft, die Hemmschwelle zu senken und zu überwinden.

Wirkt Bewegung intensiver, wenn man sie mit mehreren Personen ausübt?
M. Bühler: Das ist individuell. Die einen bewegen sich lieber allein, wollen den Kopf lüften und etwas für sich tun. Vielen Menschen hilft aber das Miteinander. Es schafft Verbindlichkeiten. Auch die sozialen Kontakte in einer Gruppe können sehr hilfreich sein.

Was raten Sie Ihren Freundinnen, Freunden und Bekannten, wenn es um Prävention von Darmkrebs geht?
M. Bühler: Bewegen, bewegen, bewegen. Sich Sport zur Gewohnheit machen, wenn es einem gut geht. Sich ausgewogen ernähren sowie Rauchen und Alkohol möglichst meiden. Und ab dem Alter von 50 Jahren am Screening-Programm Darmkrebs teilnehmen. Dann macht man schon sehr viel für seine Gesundheit.

Kann man vor Krebs weglaufen?
M. Bühler: Man kann einen gesunden Lebensstil führen. Man kann sein Leben in die Hand nehmen und Risiken mindern. Auch in Bezug auf andere Krankheiten. Vor einer Krebserkrankung weglaufen aber kann man nicht. Aber Bewegung ist ein aktiver Beitrag zur eigenen Gesundheit. Ein Weg, sich etwas Gutes zu tun.

Sie geben Kurse im ViniYoga. Was ist das Besondere daran?
M. Bühler: ViniYoga gehört zur Tradition des Hatha-Yoga. Vini bedeutet «angepasst an den Übenden». Schon in der Ausbildung lernt man, die Übungen an die Teilnehmenden der Gruppe anzupassen – auch an Menschen mit Einschränkungen. In meinen Kursen üben wir, möglichst achtsam mit dem eigenen Körper umzugehen. Seine eigenen Grenzen und damit auch sich selbst wahrzunehmen und zu respektieren. Das ist besonders für Krebsbetroffene eine Herausforderung, denn sie sind in ihrer eigenen Wahrnehmung erschüttert. Warum habe ich nicht gespürt, dass etwas nicht stimmt? Was ist mit mir los? Das sind Fragen, die sehr häufig auftauchen. Fragen, die am grundlegenden Vertrauen in den eigenen Körper nagen. Das regelmässige Praktizieren von Yoga kann den Teilnehmenden helfen, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. Dabei gebe ich den Betroffenen auch Werkzeuge an die Hand, die sie im Alltag entlasten. Beim Warten auf die nächste Kontrolluntersuchung zum Beispiel. Dort können einfache Atemübungen Stress mindern.

Wir machen Sie Ihren Patientinnen und Patienten Mut?
M. Bühler: Indem ich ihnen helfe, sich an kleinen Schritten zu freuen. Ich unterstütze sie dabei, sich auf die eigenen Ressourcen zu konzentrieren und nicht auf die Mängel. Damit die Betroffenen spüren, dass einige Dinge wunderbar funktionieren. Es ist mir wichtig, dass die Übenden während der Yoga-Lektionen positive Erfahrungen machen. Dass sie lernen, sich und ihrem Körper wieder zu vertrauen. Ein Leistungsgedanke ist da ebenso fehl am Platz wie ein beschwichtigendes «Kommt schon gut».

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